Der Surrealismus zurück zu Dadaismus


Die Wirklichkeit liegt anderswo...

Die surrealistische Bewegung wurde offiziell 1924 mit der Publikation des ersten surrealistischen Manifests begründet: Das Wort Surrealismus wird darin so begründet: „ Reiner psychischer Automatismus, durch den man den wirklichen Ablauf des Denkens mündlich, schriftlich oder auf jede andere Weise auszudrücken sucht. Das Diktat des Denkens ohne jede Kontrolle durch die Vernunft und außerhalb aller ästhetischen oder ethischen Fragestellungen – Der Surrealismus beruht auf dem Glauben an die übergeordnete Wirklichkeit bestimmter, bis heute vernachlässigter Assoziations-Formen, an die Allgewalt der Traums, an das absichtsfreie Spiel des Denkens. Er zielt darauf hin, alle anderen psychischen Mechanismen zu zerstören und an ihre Stelle bei der Lösung der wichtigsten Lebensprobleme einzunehmen“. (Andre´ Breton, Manifeste du surréalisme, 1924, zitiert aus: Lexikon des Surrealismus, Du Mont)

Es bestanden sowohl personell wie inhaltlich enge Verbindungen mit dem Dadaismus wobei aber Breton ab Mitte der 20er Jahre sich verstärkt der surrealistischen Strömung zuwandte und sie maßgeblich prägte. Der Surrealismus war ursprünglich eine im Namen der totalen Freiheit der Inspiration  geführte Revolte gegen die herrschende Ästhetik mit einer Kampfansage an den Impressionismus; erst später bescherte er selbst der bildenden Kunst einen neuen Schönheitsbegriff, den von surrealistischen Gemälden. Obwohl diese Entwicklung im Widerspruch zur ursprünglichen Intention der Verneinung der Malerei steht: „ Es gibt heute kein Zeichnen mehr, kein Malen in Öl, kein Aquarell usw.; es gibt die Malerei – und ohne Zweifel verdienen die Lichtreklamen diese Bezeichnung mehr als  der Großteil der in der Akademie ausgestellten Gemälde“ ( Apollinaire 1917, Programmheft für das Ballet Parade – darin wird zum ersten mal das Wort sur-réalisme verwendet ).

Wurde in der Dadaphase noch der eindeutige Antikunst-Impuls gelebt so entwickelte sich in der surrealen Phase der 20er Jahre eine neue Kunstwelt mit seinem prominentesten Vertreter Salvator Dali: „Der Surrealismus bin ich.“

Hat der Dadaist Tzara in seiner Zeitschrift 1919 noch die >reine Idiotie< gefordert: „ Der Intelligente ist ein vollkommener und normale Typ geworden; was uns fehlt und interessiert, was rar ist, weil es die Anomalien eines kostbaren Geschöpfes, die Frische und Freiheit der großen Anti-Menschen aufweist, ist der Idiot. Dada arbeitet mit all seinen Kräften an der Einführung des Idioten auf der ganzen Welt – und zwar ganz bewusst. Und strebt selbst danach, es mehr und mehr zu werden.“ Damit wird die Antikunst bis an die äußersten Grenzen getrieben mit der absolut freien Assoziation des Geistes, einem Konstrukt menschlicher Willkür. Dieses Grundpostulat menschlichen Handelns wird in der paranoisch-kritischen Methode  von Salvator Dali als herausragenden Vertreter sehr exzentrisch gelebt und vermarktet. Wurden im zweiten Manifest noch philosophisch ideale Töne angeschlagen, so wurde in der Gesellschaftlichen Realität der 30er Jahre der Surrealismus ein Vermarktungsschlager, der mit der kommunistischen Pateizugehörigkeit von Breton direkt im Sinne von Propagandazwecken nichts zu tun hat. Dazu Bretons Bemühungen seine Parteigenosssen vom Surrealismus zu überzeugen: „Die künstlerische Phantasie muß frei bleiben … Das Kunstwerk muß von jedem praktischen Zweck entbunden werden, sonst hört es auf , es selbst zu sein.“ Und weiter: „ Wir stellen der Malerei mit gesellschaftlichem Sujet eine Malerei entgegen, deren latenter Inhalt ohne Ansehen des gewählten Sujets revolutionär ist. Wir bestehen auf der Tatsache, daß diese Malerei heute ihre Grundlagen nur aus der reinen geistigen Vorstellung schöpfen kann. ( La Position politique du Surréalisme,1935 ) Und im zweiten Manifest warnte er davor, sich aus Eitelkeit zu verkaufen: „ Allem zuvor muß man die Zustimmung der breiten Öffentlichkeit fliehen. Das Publikum muß unbedingt daran gehindert werden, einzutreten, will man Missverständnisse vermeiden. Ich füge hinzu: Man muß es mittels eines Systems von  Herausforderungen und Provokation gereizt am Eingang stehen lassen.“ Die Kommunisten hatten, wie die Geschichte zeigt, ihre eigene Vorstellung einer Revolutionskunst. Aber der Kapitalist hat paradoxerweise die Schöpfungen der Dadaisten und Surrealisten in seine Kunsttempel und Galerien geholt und ihnen einen extrem hohen finanziellen Wert zugeteilt. Die Unmöglichkeit der reinen Umsetzung der Konzepte wird von Breton eingeräumt: „Nicht die Furcht vor dem Wahnsinn wird uns dazu bringen, die Fahne der Einbildungskraft auf Halbmast zu setzen.“ Doch nie ist davon die Rede, wirklich den Wahnsinn zu riskieren: man muß von der Halluzination zurückkehren – um sie zu beschreiben. Den unerforschten Erdteil, an dem die Surrealisten landen wollten bewohnen sie nicht; vielmehr richten sie zwischen der alten und der neuen Welt eine Art Pendelverkehr ein. Doch die Aussagen der Manifeste nötigen einem kein Lachen ab: „Öffnet die Gefängnisse, entlasst das Heer. Es gibt keine Verbrechen im Sinne des allgemeinen Strafrechts. Fürchten wir nicht zuzugeben, daß wir auf die Katastrophe warten, sie herbeisehnen….Der Krieg ? Haben wir gelacht !“ Sind das die Sehnsüchte von Revolutionären und geistigen Terroristen oder nur kunsttheoretische Ansätze das Unbewusste und Dunkle der menschlichen Existenz zu ergründen und künstlerisch zu formulieren? Die Surrealisten haben die Welt der Kunst verändert und eine neue Kunstwelt geschaffen – aber die gesellschaftliche Wirklichkeit liegt anderswo.

Die modernen Bildwerke werden vom kapitalistischen Westen teuer gehandelt und hohe Gewinne erzielt. Der Kapitalist im Künstler und im Rezipienten erfreut sich an den zusammengestürzten inneren Welten und pfeift auf die Revolution! Der Kapitalwert und seine eigenen Mechanismen der Kapitalanlage ist das höchste Primat des modernen Kunstfreundes. Antikunst wurde zur Kunst. Aber die materiellen Wertebestimmungen der Kunst und die Prinzipien des Handels sind keine Neuheit – aber Dadaismus und Surrealismus haben der modernen Kunst ein neues Selbstverständnis gegeben. Es wurde ein ganz neues Bild vom Künstler gezeichnet. Werner Haftmann im Nachwort zu Hans Richters Buch: Kunst und Antikunst: „Der Dadaist und auch der Surrealist,  (Anmerkung d. Verfassers), nahm mit Selbstverständlichkeit den romantischen Geniebegriff für sich in Anspruch. Er Verstand sich selbst als eine aus allem heraustretende Individualität, deren natürlicher Lebensraum eine voraussetzungslose Freiheit war. Allein der Gegenwart verpflichtet, abgelöst von allen Bindungen aus Geschichte und Übereinkunft, stellte er sich in direkter Konfrontation der ihm umgebenden Wirklichkeit und formte diese nach seinem Bilde. In einem bedingungslosem Ernstnehmen der Selbstherrlichkeit des Ich verstand er jeden spontan antwortenden Impuls, jede Meldung von Innen als Ausdruck reiner Wirklichkeit.“ ….eine künstlerische Geisteshaltung, die dem 20. Jahrhundert zutiefst zugrunde liegt - die Philosophie des autonomen Menschen.

Das transzendentale Weltbild dieser Selbstherrlichkeit offenbart sich so: „ Alles, was es an Schwankendem, Schiefem, Niederträchtigem, Besudelndem, Groteskem gibt, umfasst dieses eine Wort: Gott “ ( Andre´ Breton, 1925 ).